Einmassenschwinger

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S. Burghardt (02.2020) MINTwiki.de/Einmassenschwinger

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Abb.1: Modell des Einmassenschwingers
[math]y(t)[/math] Lage des Massepunkts
[math]x(t)[/math] Weganregung am Fußpunkt
[math]F(t)[/math] Kraftanregung an der Masse
[math]m[/math] Punktmasse
[math]k[/math] Federkonstante
[math]d[/math] Dämpfungsfaktor

Ein Einmassenschwinger (engl. single degree of freedom system -> SDOF) repräsentiert das einfachste mathematische Modell eines eindimensionalen schwingungsfähigen mechanischen Systems mit einem Bewegungsfreiheitsgrad. Er besteht aus einer invarianten Masse [math]m[/math], einer linearen Feder mit der Federkonstanten [math]k[/math] und ggf. einem proportionalen Dämpfer mit der Dämpfungskonstanten [math]d[/math] (Abb. 1). Wird nun die dynamische Last (Erregung) betrachtet, die auf die Masse wirkt, dann ergibt sich durch Einsetzen einer d'Alembertschen Trägheitslast aus dem Kräftegleichgewicht die Bewegungsdifferentialgleichung:

[math] \boxed { m\ddot{y}(t)+d\dot{y}(t)+ky(t) = d\dot{x}(t)+kx(t) - F(t) } [/math]

Die Vorzeichen orientieren sich hier an Abb.1 und können auch anders definiert werden. Für eine freie Schwingung kann diese Gleichung mit dem Ansatz [math] y(t)=X \, e^{\lambda t} [/math] im Zeitbereich gelöst werden.

Die große technische Bedeutung für das Modell des Einmassenschwingers ergibt sich aus der Tatsache, dass Feststoffe, sofern man deren Schwingungsfähigkeit betrachtet, als verknüpfte Systeme aus Masse, Steifigkeit und Dämpfung abgebildet werden können. Das Verständnis des Einmassenschwingers ist damit die Grundlage für die Beschreibung komplexerer Strukturen mit einer numerischen Modalanalyse.

Abb.2: Frequenzgang des Einmassenschwingers unter Weganregung

Übertragungsfunktionen und Frequenzgang

Durch Laplacetransformation können LZI-Übertragungsfunktionen aufgestellt werden. Es ergibt sich für die Krafterregung bzw. Wegerregung:

[math] \dfrac{y(s)}{F(s)}=-\dfrac{1}{ms^2+ds+k} \quad \textrm{und} \quad \dfrac{y(s)}{x(s)}=\dfrac{ds+k}{ms^2+ds+k} = L(s) [/math]

Diese Übertragungsfunktionen können genutzt werden, um die transiente Bewegungsgleichung als Anfangswertproblem mit beliebigen Eingangsfunktionen numerisch zu simulieren. Das passive System des Einmassenschwingers ist dementsprechend ein Verzögerungsglied zweiter Ordnung (PT2-Glied). Eine analytische Lösung kann man für einige spezielle Anregungsfunktionen ermitteln. Für [math] s=\mathrm{i} \omega[/math] kann man mit der Übertragungsfunktion den komplexen Frequenzgang aufstellen, um Verstärkung und Phasenverschiebung einer harmonischen Anregung zu ermitteln. Besonders anschaulich lässt sich das für die Weganregung darstellen, was in Abb. 2 dargestellt ist.
Man erkennt hier, dass die Amplitude für kleine Frequenzen der Anregungsamplitude entspricht und der Einmassenschwinger gleichphasig der Anregung folgt. Das gilt bis zu einer Grenzfrequenz, bei der je nach Dämpfung eine Amplitudenverstärkung auftreten kann (ohne Dämpfung wird diese unendlich). Ab der Grenzfrequenz wird die Anregung nur noch abgeschwächt übertragen und die Masse schwingt phasenverschoben.

Resonanzfrequenz und charakteristische Parameter

[math]\omega_0=\sqrt{\dfrac{k}{m}}[/math] Eigenkreisfrequenz
[math]\delta=\dfrac{d}{2m}[/math] Abklingkonstante
[math]D=\dfrac{\delta}{\omega_0}[/math] Dämpfungsgrad
[math]\Lambda = \dfrac{2\pi \delta}{ \sqrt{\omega_0^2-\delta^2}}[/math] logarithmisches Dekrement


Nun hat jeder Einmassenschwinger eine Resonanzfrequenz, [math]f_r[/math], bei der die Amplitudenverstärkung maximal wird. Diese muss sich aus den Polstellen der Übertragungsfunktion ergeben. Dazu deklariert man häufig die Abklingkonstante [math]\delta[/math] und die Eigenkreisfrequenz [math]\omega_0[/math]:

[math] 0=s^2+\dfrac{d}{m}s+\dfrac{k}{m} = s^2+2 \delta \, s +\omega_0^2 [/math]

Die Lösung ist:

[math] \mathrm{s}_{1,2}=-\delta \pm \sqrt{\delta^2-\omega_0^2}=-\delta \pm \mathrm{i} \, \omega_d \quad \textsf{oder} \quad f_{r \, 1,2}= \mathrm{i}\dfrac{\delta}{2 \pi} \pm \dfrac{\omega_d}{2 \pi} [/math]

Man sieht hier, dass die Eigenfrequenz komplexe Werte annimmt, sofern eine Dämpfung existiert. Ein entscheidendes Kriterium des Systemverhaltens ist dementsprechend der Term unter der Wurzel. Für diesem gibt es auch das Lehrsche Dämpfungsmaß, das eine modale Dämpfung beschreibt.

[math] \omega_d=\sqrt{\omega_0^2-\delta^2} = \omega_0 \sqrt{1-D^2} [/math]

Impulsantwort

[math]p=\int{F \, dt}[/math] Impuls
[math]\mathcal{L}^{-1} \left( \dfrac{1}{s+a} \right) = e^{-at} [/math] e-Funktion
[math] e^{\text{i}\varphi} = \cos(\varphi) + \text{i} \sin{\varphi} [/math] Eulerformel

Ist die Kraftfunktion ein Diracimpuls, [math]p_\delta [/math], in technischer Hinsicht also z.B. ein Schlag mit einem Impulshammer, dann ergibt sich aus der Übertragungsfunktion die Bewegungsfunktion zunächst im Frequenzbereich:

[math] y(\mathrm{s})=-\dfrac{p_\delta}{m} \dfrac{1}{\mathrm{s}^2+2 \delta \mathrm{s}+\omega_0^2} =-\dfrac{p_\delta}{m} \dfrac{1}{(\mathrm{s}+\delta + \mathrm{i}\omega_d)(\mathrm{s}+\delta - \mathrm{i}\omega_d)} [/math]

Zur Rücktransformation braucht es eine Partialbruchzerlegung:

[math] y(\mathrm{s})= \dfrac{p_\delta}{2m \, \mathrm{i} \omega_d} \left(\dfrac{1}{\mathrm{s}+\delta+ \mathrm{i} \omega_d} - \dfrac{1}{\mathrm{s}+\delta- \mathrm{i}\omega_d} \right) [/math]
Abb.3: Impulsantwort für verschiedene Dämpfungswerte für [math]y_0=\dfrac{p_I}{m \omega_0} [/math] und [math]T_0=\dfrac{2 \pi}{\omega_0} [/math]

Damit ergibt sich durch Laplace-Rücktransformation (Korrespondenztabelle) die transiente Funktion:

[math] y(t)= \dfrac{p_\delta}{2 m \, \mathrm{i} \omega_d}e^{-\delta t} \left( e^{-\mathrm{i}\omega_d t} - e^{\mathrm{i}\omega_d t} \right) \quad \forall \, t \ge 0 [/math]

Das Aussehen der Funktion hängt von der Dämpfung ab. Für schwingungsfähige Systeme wird [math] \omega_d [/math] real, und man kann die Exponentialterme mit der Eulerformel auflösen. Für den aperiodischen Grenzfall wird [math] \omega_d=0 [/math] und man muss die transiente Funktion mit dieser Prämisse neu herleiten. Die folgende Tabelle zeigt die Funktionen für verschiedene Dämpfungsbereiche, die in Abb. 3 dargestellt sind. Da der Impuls nun gegen die Zählrichtung der Massenposition verübt wird, bewegt sich die Masse zuerst in negative Richtung. Die Funktion ist aber durch die Stärke und Richtung des Impulses skalierbar.

[math]D\lt 0[/math] [math] - \dfrac{p_\delta}{m \omega_d}e^{-\delta t} \sin ( \omega_d t) [/math] instabiles System
[math]D=0[/math] [math] - \dfrac{p_\delta}{m \omega_0} \sin ( \omega_0 t) [/math] ungedämpfte Schwingung
[math] 0\lt D\lt 1 [/math] [math] - \dfrac{p_\delta}{m \omega_d}e^{-\delta t} \sin ( \omega_d t) [/math] gedämpfte Schwingung
[math] D=1[/math] [math] -\dfrac{p_\delta}{m} t \, e^{-\delta t} [/math] aperiodischer Grenzfall
[math] D \gt 0 [/math] [math] \dfrac{p_\delta}{2m \omega_d} \left( e^{-(\delta+\omega_d) t} - e^{-(\delta-\omega_d) t} \right) [/math] Kriechfall

Sprungantwort

[math]x(s)= \hat{x} \dfrac{1}{s}[/math] Sprungfunktion
[math]\mathcal{L}^{-1} \left( \dfrac{a}{s(s+a)} \right) = 1 - e^{-at} [/math] e-Funktion
[math] \dfrac{d}{dt} e^{a t} = a e^{a t}[/math] Kettenregel

Eine freie Schwingung kann man durch eine Sprungfunktion der Weganregung modellieren.

[math] y(\mathrm{s})= \dfrac{2 \delta \mathrm{s} + \omega_0^2}{\mathrm{s}^2 + 2 \delta \mathrm{s}+\omega_0^2} \, x(\mathrm{s}) = \dfrac{2 \delta \mathrm{s} +\omega_0^2}{\mathrm{s}^2 +2 \delta \mathrm{s}+\omega_0^2} \, \dfrac{\hat{x}}{\mathrm{s}} [/math]

Die Partialbruchzerlegung kann man im Prinzip von der Impulsfunktion (s.o.) übernehmen, da die Terme auch als Produkt mit [math]\text{s}^{-1} [/math] aufgelöst werden können:

[math] y(\mathrm{s})= \hat{x} \dfrac{2 \delta \mathrm{s} + \omega_0^2 }{2 \, \mathrm{i} \omega_d} \left( \dfrac{1}{\mathrm{s} (\mathrm{s} + \delta- \mathrm{i} \omega_d)} - \dfrac{1}{ \mathrm{s}(\mathrm{s} + \delta + \mathrm{i}\omega_d)} \right) [/math]
Abb.4: Sprungantwort für [math]D = 0.1 [/math]

Die direkte Anwendung der Korrespondenztabelle ergibt zunächst die Zeitfunkion als komplexe Summe:

[math] y(t)= \hat{x} \left( \dfrac{\text{d}}{\text{d} t} \dfrac{ \delta}{ \mathrm{i} \omega_d} + \dfrac{\omega_0^2}{2 \, \mathrm{i} \omega_d} \right) \left[ \dfrac{1}{\delta- \text{i} \omega_d} \left( 1 - e^{-(\delta - \text{i} \omega_d) t } \right) - \dfrac{1}{\delta+ \text{i} \omega_d} \left( 1 - e^{-(\delta + \text{i} \omega_d) t } \right) \right] [/math]
[math] y(t)= \hat{x} \left( \dfrac{\text{d}}{\text{d} t} \dfrac{ \delta}{ \mathrm{i} \omega_d} + \dfrac{\omega_0^2}{2 \, \mathrm{i} \omega_d} \right) \left[ \dfrac{2 \text{i} \omega_d}{\omega_0^2} - e^{-(\delta - \text{i} \omega_d) t } \dfrac{1}{\delta- \text{i} \omega_d} + e^{-(\delta + \text{i} \omega_d) t } \dfrac{1}{\delta+ \text{i} \omega_d} \right] [/math]

Das kann man durch Differenzieren und Vereinfachen weiter auflösen, was hier eine komplexe Exponentialfunktion ergibt:

[math] y(t) = \hat{x} \left[ \dfrac{ \delta}{ \mathrm{i} \omega_d} e^{-\delta t } \left( e^{ \text{i} \omega_d t } - e^{- \text{i} \omega_d t } \right) +1 + \dfrac{\omega_0^2}{2 \, \mathrm{i} \omega_d} e^{-\delta t } \left( \dfrac{1}{\delta+ \text{i} \omega_d} e^{- \text{i} \omega_d t } - \dfrac{1}{\delta- \text{i} \omega_d} e^{\text{i} \omega_d t } \right) \right] [/math]

Die reellen Funktionen kann man wiederum je nach Dämpfung auflösen. Für ein unterkritisch gedämpftes System ergibt sich:

[math] y(t) = \hat{x} \left[ 1 - \cos{ \left( \omega_d \, t \right) } + \dfrac{\delta}{ \omega_d} e^{-\delta t } \sin{ \left( \omega_d \, t \right)} \right] [/math]

Diese analytische Lösung des Anfangswertproblems kann leicht numerisch approximiert werden. Das explizite Eulerverfahren genügt, um gute Resultate zu erzielen, sofern man die Integrationsschrittweite nicht zu groß wählt (Abb. 4).